Rettung historischer Bauakten | Ein INTERVIEW über ein Projekt des Stadtarchivs Karlsruhe

Auch den meisten Architektur-Fans in Karlsruhe ist es wohl nicht bekannt – Karlsruhe hat einen außergewöhnlichen Bestand an historischen Bauakten: Während im Zweiten Weltkrieg viele Gebäude zerstört wurden, blieb das städtische Bauordnungsamt verschont. Neben dem Stadtarchiv lagerten dort – bis heute – nahezu geschlossen die Akten des Baubestands der Stadt seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während also zahlreiche Häuser längst nicht mehr existieren, gibt es noch immer historische Pläne, Akten, Unterlagen, die Informationen über sie ermöglichen. Ein – nicht nur – historisch einzigartiger Blick in die Baugeschichte der Stadt Karlsruhe!

Die histo­ri­­schen Bauakten sind jedoch in ihrem Bestand stark gefährdet, weshalb das Stadt­­ar­chiv Karlsruhe in Koope­ra­tion mit dem Bauord­­nungs­­amt der Stadt ein richtungs­­wei­­sen­­des Projekt zu ihrer Rettung initiiert hat. Seit diesem Jahr arbeitet man an einem in dieser Art und in diesem Umfang in Deutschland beispiellosen Projekt zur Rettung der historischen BauaktenEs umfasst neben der Bestan­d­­ser­hal­tung als zentralem Aspekt auch die Erschlie­ßung und die Zugäng­lich­­ma­chung der Bauakten für die Nutzung. Somit werden wichtige Teile des kultu­rel­len Erbes der Stadt Karlsruhe gerettet, die aktuellen und zukünf­ti­gen Nutzern zur Verfügung stehen.

Wir haben bei dem Projektleiter Dr. Patrick Sturm im Stadtarchiv nachgefragt, was es mit der Rettung historischer Bauakten genau auf sich hat!

(c) Stadtarchiv Karlsruhe, 8/BOA P3776

(c) Stadtarchiv Karlsruhe, 8/BOA P3776

INTERVIEW

Seit Mai 2015 arbeitet das Stadtarchiv intensiv an einem besonderen Projekt, der Rettung historischer Bauakten. Zunächst einmal – was sind Bauakten überhaupt und warum müssen sie gerettet werden?

Aktendeckel (c) Stadtarchiv Karlsruhe, 1/BOA 814

Aktendeckel (c) Stadtarchiv Karlsruhe, 1/BOA 814

Patrick Sturm Bauakten sind einzigartige und äußerst aussagekräftige Quellen und zwar in erster Linie für die Baugeschichte als einem wesentlichen Teil der Stadtgeschichte. Die ehemalige badische Residenzstadt Karlsruhe ist bau- und architekturhistorisch von besonderem Interesse. Im Gegensatz zu den Gebäuden sind die historischen Bauakten in Karlsruhe bei der Stadt seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu komplett erhalten. In diesem Zeitraum wirkten namhafte Architekten wie Josef Durm, Curjel & Moser oder Hermann Alker, die ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen haben. Die Unterlagen zu nicht mehr bestehenden Gebäuden befinden sich im Bestand 1/BOA des Stadtarchivs. Die Bauakten bestehender Gebäude verwahrt das städtische Bauordnungsamt, weil sie teilweise noch für aktuelle Baumaßnahmen herangezogen werden.

Die Stadt Karlsruhe verfügt daher im Vergleich zu anderen Städten über eine ausgezeichnete Quellengrundlage für alle Fragestellungen aus den Bereichen Architektur, Baugeschichte und Kunstgeschichte mit in dieser Form einzigartigen Erkenntnissen zur Stadtentwicklung, dem architektonischen Bild der Stadt und der Arbeit von Architekten. Zudem geben die Bauakten oftmals die einzigen Auskünfte über die Planung und die Entstehung von Gebäuden, wobei sie auch nicht umgesetzte Entwürfe enthalten. Über die Bereiche Architektur und Bauwesen hinaus liefern die Bauakten zudem aussagekräftiges Material zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, zur Rechtsgeschichte, zur Besitzgeschichte bis hin zur Verkehrsgeschichte und anderem mehr.

Ohne Frage ein äußerst erhaltenswerter Bestand! Aber warum müssen die Akten „gerettet“ werden?

(c) Stadtarchiv Karlsruhe, 8/BOA P108

(c) Stadtarchiv Karlsruhe, 8/BOA P108

PS Die historischen Bauakten der Stadt Karlsruhe sind in ihrem Bestand stark gefährdet. Die langjährige Nutzung der Unterlagen hat ihre Spuren in Form von mechanischen Schäden wie Rissen und bestoßenen Rändern hinterlassen. Vor allem die Pläne weisen starke Beschädigungen auf, so dass sie mittlerweile an den Faltstellen auseinanderbrechen. In besonderem Maße vom Zerfall bedroht sind die alten Pergaminpläne. Sie sind äußerst fragil und liegen vielfach bereits in mehrere Einzelteile zerbrochen in den Akten. Das säurehaltige Papier sorgt zudem für eine raschere Alterung des Beschreibstoffs, was die Stabilität beeinträchtigt und das Papier brüchig macht. Der unzureichende Erhaltungszustand verschlechtert sich weiter durch die fortwährende Nutzung der Bauakten, die in einigen Fällen ohnehin nur noch eingeschränkt möglich ist. Es besteht somit dringender Handlungsbedarf um diese wertvollen Quellen für die Geschichte der Stadt Karlsruhe in ihrem Bestand zu sichern.

Das Stadtarchiv Karlsruhe hat daher ein richtungsweisendes Großprojekt zur Rettung der historischen Bauakten der Stadt begonnen. Ziel ist der dauerhafte Erhalt dieser wertvollen Überlieferung. Mit Hilfe unterschiedlicher Restaurierungs- und Konservierungsmaßnahmen werden die geschädigten und vom Zerfall bedrohten Bauakten gesichert und aufbereitet. Dies betrifft die Bauakten im Stadtarchiv wie auch die älteren, stadthistorisch bedeutsamen Unterlagen im städtischen Bauordnungsamt. Das Projekt umfasst neben der Bestandserhaltung als zentralem Aspekt auch die Erschließung und die Zugänglichmachung der Bauakten für die Nutzung, so dass ein breites Spektrum an archivfachlichen Dienstleistungen abgedeckt wird. Somit werden wichtige Teile des kulturellen Erbes der Stadt Karlsruhe gerettet, die aktuellen und zukünftigen Nutzern zur Verfügung stehen.

Wie läuft so eine „Akten-Rettungs-Aktion“ genau ab?

Ausbetten (Entfernen des Hollytex) (c) Schempp Bestandserhaltungs GmbH, Kornwestheim

Ausbetten (Entfernen des Hollytex) (c) Schempp Bestandserhaltungs GmbH, Kornwestheim

PS Der Blick richtet sich zunächst auf die Unterlagen im städtischen Bauordnungsamt. Hier werden die Bauakten, die bis zum Jahr 1945 angelegt wurden, also der ältere Teil, ausgesondert und in das Stadtarchiv überführt. Am Ende befinden sich dann alle städtischen Bauakten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs geschlossen im Stadtarchiv. Dort angekommen erfolgt die Erschließung. Dabei werden die Bauakten in dem Archivsystem „Augias“ erfasst, dem Bauaktenbestand des Stadtarchivs zugeordnet und erhalten jeweils eine Signatur. Im Rahmen der Erschließung entnehmen die Bearbeiter auch beschädigte Pläne. Diese werden von Restauratoren instandgesetzt, digitalisiert und danach separat in Planschränken fachgerecht gelagert. Währenddessen erfolgen die Digitalisierung und die Entsäuerung der formierten Aktenhefte. Die Digitalisierung beginnt mit den Unterlagen aus dem Bauordnungsamt, wohingegen bei der Massenentsäuerung zunächst der Altbestand im Stadtarchiv behandelt wird. Nach Abschluss der Maßnahmen werden die historischen Bauakten fachgerecht verpackt unter bestandserhalterisch angemessenen klimatischen Bedingungen in den Magazinen des Stadtarchivs gelagert, um einen nach archivischen Ansprüchen dauerhaften Erhalt der wichtigen Kulturgüter sicherzustellen.

Das klingt nach sehr viel Arbeit. Wie viele Leute sind mit der Rettung der Akten befasst?

PS Der schlechte Erhaltungszustand der historischen Bauakten im Stadtarchiv wie auch im städtischen Bauordnungsamt ist seit Langem bekannt. Schon seit einigen Jahren werden daher punktuell einzelne Akten aus dem Bauordnungsamt ausgesondert, um sie zu restaurieren und zu digitalisieren. Anfang 2014 entschloss man sich, die erforderlichen Maßnahmen in einem Projekt durchzuführen. Damit wurde der Masse an Bauakten Rechnung getragen, die im Laufe des Regelbetriebs im Stadtarchiv nicht zu bewältigen ist. 2015 konnten zusätzliche Stellen für die umfassende Rettung der historischen Bauakten geschaffen werden.

Das Projektteam besteht im Kern aus einem Archivar des höheren und einem Archivar des gehobenen Dienstes sowie derzeit auch einer studentischen Hilfskraft. Unterstützung erhalten sie bei ausgewählten Arbeitsprozessen von den Kolleginnen und Kollegen des Stadtarchivs. Zum Beispiel waren bei der Aussonderung im städtischen Bauordnungsamt zwischenzeitlich vier weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs beteiligt.

(c) Stadtarchiv Karlsruhe, 8/BOA P2402

(c) Stadtarchiv Karlsruhe, 8/BOA P2402

Der 2015 vor dem Hintergrund der neuen Personalsituation geschaffene Projektplan sieht die Durchführung der Maßnahmen in mehreren Etappen vor. So ist zum Beispiel die Entsäuerung aller Bauakten bis 2018 abzuschließen. Hinsichtlich der Digitalisierung sollen die Unterlagen aus dem Bauordnungsamt bis 2017 fertig sein und danach mit den Arbeiten am Altbestand begonnen werden. Es ist geplant, das gesamte Projekt 2020 abzuschließen.

Wie laufen die Arbeiten gegenwärtig?

PS Momentan liegt das Projekt gut in der Zeit. Die Aussonderung und Überführung der Unterlagen aus dem Bauordnungsamt wird Mitte Oktober 2015 abgeschlossen. Dann rückt die Erschließung der Bauakten in den Fokus, um die Grundlage zur Durchführung der bestandserhalterischen Maßnahmen zu schaffen. Die Entsäuerung eines Teils des Altbestandes wurde in einem Massenverfahren bereits erfolgreich abgeschlossen. Ein weiteres Entsäuerungsverfahren und ein erster größerer Digitalisierungslauf stehen noch in diesem Jahr auf dem Plan.

Wie finanziert sich dieses Projekt?

PS Die aufwendigen Restaurierungs- und Konservierungsmaßnahmen wurden mit einer Anschubfinanzierung der Koordinierungsstelle für den Erhalt schriftlichen Kulturguts Berlin gestartet. Seitdem finanziert das Stadtarchiv die Maßnahmen aus seinem laufenden Etat. Die Beantragung von Fördermitteln ist allerdings geplant. Darüber hinaus unterstützen Institutionen wie auch Privatpersonen mit der Übernahme von Patenschaften aktuelle Restaurierungsprojekte, um die wichtigen Zeugnisse zur Karlsruher Geschichte dauerhaft zu erhalten.

Wie sieht eine solche Patenschaft aus?

PS Eine Restaurierungspatenschaft kann jeder Interessierte übernehmen und dadurch bei der Rettung der historischen Bauakten helfen. In Absprache mit dem Stadtarchiv sucht man sich ein Gebäude seiner Wahl aus, dessen Bauakte im Rahmen des Projekts instandgesetzt wird. Es besteht die Möglichkeit, entweder einen Pauschalbetrag in beliebiger Höhe zu spenden, der in die Durchführung aller erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen einfließt, oder gezielt die Restaurierung von Plänen – mit 50 Euro pro Plan – zu unterstützen. Von dem Förderverein Karlsruher Stadtgeschichte, mit dem das Stadtarchiv das Patenschaftsprojekt gemeinsam betreibt, erhalten die Paten Spendenquittungen. Vom Stadtarchiv gibt es ab einer Spende von 50 Euro auch ein kleines Dankeschön. Für weitere Auskünfte zu einer Patenschaft – wie selbstverständlich auch zum Projekt allgemein – können sich Interessierte gerne an das Stadtarchiv wenden.

Patrick Sturm, herzlichen Dank für den Blick hinter die Kulissen Ihrer Arbeit! 

(Interview von Simone Kraft | Architekturschaufenster)

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